Störenfried Til Schweiger lüftet den „Tarnumhang“

Ein Störenfried lüftet den „Tarnumhang“

Die Überbau-Ordnung
Ordnung, Ruhe, Frieden im Land werden staatlich organi-siert. Professionell von Politik, Parteien, Wissenschaft, Medi-en, Behörden, Institutionen, Organisationen, Verbänden etc., versehen mit Funktionärs-, Beamten-, Manager-Posten, Titeln und Scheintiteln etc.
So existieren und agieren staatliche Lebensbereiche, die eben genannten plus Religionen/Kirchen, Kulturen, Handel und Banken, Erziehung und Bildung, Altersgruppen und Geschlechter, Medizin und Recht, Arbeitsverhältnisse und Reichtum, Wohlstand und sozialer Mangel und Elend nebeneinander.

Die Sub-Ordnung
Und zur gesellschaftlichen Unterstützung agieren professio-nell ausserparlamentarische Gruppierungen, versehen mit Posten, Titeln etc.: NGO-Nichtregierungorganisationen, zertifizierte Organisationen, bundesweit und weltweit, Social-Business, Industrie-Stiftungen, Spenden-Organisation und Firmen- und Einzelspender etc., und erhalten so soziale Ruhe, Ordnung und Frieden im Land.

Die Basis
Und wie in der Menschheitsgeschichte üblich gibt es in der so genannten heutigen „Bürgergesellschaft“ oder „Zivilge-sellschaft“ Bürger und Bürgerinnen – „die Menschen draussen“, „die Menschen auf der Strasse“, „die Bevölke-rung“ -, welche Hegels „Herzklopfen für das Wohl der Menschheit“ empfinden und Barmherzigkeit, Mildtätigkeit, Wohlfahrt, Hilfsbereitschaft einzeln und in Gruppen ohne Bezahlung und ehrenamtlich tätigen, ohne Posten, Titel etc., und auch Geld und Sachen und Lebensmittel spenden, je nach Not und Zweck.

Die Störung
Und nun stört diese Ordnung und Ruhe und Frieden im Land ein finanziell unabhängiger Mann, Profi der Darstellenden Künste, Geschichtenerzähler mittels Kino- und TV-Filme, Filme für die er Drehbücher schreibt, Filme für die er Regie führt, Filme in denen er als Schauspieler auftritt, und auch Filme die er finanziert und produziert. Er hat eine erhebliche Anzahl Preise für seine Arbeiten erhalten, ist in seiner Branche der Erfolgreichste in Deutschland und auch in Hollywood als Schauspieler akzeptiert. Ein mutiger Volksheld.

Der wurde zum Störenfired. Til Schweiger mischt sich in das staatlich-gesellschaftliche Herrschaftsgefüge gesellschaftli-cher Eliten ein. Er will zur Behebung eines komplexen Man-gels einen deutlichen Beitrag leisten, den Staatseliten nicht beheben: er will, vernunfthaft und tugendhaft-christlich – „Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester; der Sohn des Menschen dagegen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann“, Matthäus, 8, 20 -, er will zivilisierte Wohnungen für hunderte Flüchtlinge schaffen, und er sammelt Geldspenden bei prominenten Bürgern, ohne Charity-Gala, und er hat mit namhaften Freunden und Kollegen eine Stiftung gegründet.

Individuell organisiert ein Filmstar für Fremde, Vertriebene, Verfolgte, Flüchtlinge – diejenigen etwa 12 Millionen Flücht-linge und „Heimatvertriebene“ die nach dem 2. Weltkrieg aus den deutschen Ostgebieten in allen deutschen Bundesländern integriert wurden, nannte eine Teil der Deutschen u.a. „Flichtlinge“, die klauen, machen sich breit, fressen uns alles weg etc., behandelte sie als fremde Eindringlinge, obwohl diese Deutsche waren, soeben noch „ein Volk“ -, er organisiert also, wofür professionelle staatliche Ordnungsorgane zuständig sind, und für Nothilfe professionelle NGO-Nicht-Regierung-Organisationen. Der Unterhaltungskünstler greift damit in das Organisations-System ein, – und das als Amateur.

„Spott über Til Schweiger ist elitäre Volksverachtung. In der Herablassung über Til Schweigers emphatischen Einsatz für Flüchtlinge wird etwas Skandalöses sichtbar. Ist der Schauspieler etwa nicht gemeint, wenn mehr Bürgerbeteiligung gefordert wird?“, Thomas Schmid, „Die Welt“.

Til Schweiger stört, handelt ohne Politiker zu sein, oder ein bekannter, reicher Wirtschaftsmagnat, oder Inhaber eines wichtigen Amtes im Land, oder ausgewiesener Humanist, Philanthrop, oder bekannter Feuilleton-Professor, oder No-belpreisträger, oder Weltstar im klassischen Musikmetier, oder Abkömmling einer berühmten Politik- oder Wirtschafts-Dynastie, oder einer Adels-Dynastie (seit einhundert Jahren abgeschafft), er befindet sich nicht einmal in der vermeintli-chen Autorität hohen Alters. Er handelt ohne in der High-Siciety und bei deren Charity-Galas zu verkehren, ohne eine Establishment-Identifikationsfigur zu sein. Und darüber hinaus ist er Jeans- und T-Shirt-Träger … Und überhaupt: Hat er gedient? Und was erlauben Schweiger den `Bahnhof ohne Bahnsteigkarte´ zu betreten?!, „das ist ja Kommunismus“ (Ernst Lubitsch).

Der Sündenbock
Gewisse Fahrscheinlöser und Amtsinhaber allerdings versagen, – sie wollen nicht. Statt Freude über Til Schweigers Initiative und Unterstützung dafür – denn es geht eigentlich um die Ursache: Flüchtlinge!, nicht um PolitikerInnen -, wird er angegriffen, von Politik und Medien, in der Regel von männlichen, ein Männchen-Ritual. Und er wird beschimpft und bedroht von Bürgern per sozialer Kommunikationsmittel im Internet. Von den primitiven Urvölkern schreibt der Ethnologe Sir James Frazer: „Der Ritus imitiert sein Ziel“, wie menschliche Tätigkeiten und Zustände, Jagd, Bodenbestellung, Fischfang, Handel, Liebesspiel, Lebensangelegenheiten, Kampf, Krankheit und Tod etc. Solche Lebensangelegenheiten werden als das Ergebnis von Beschwörung und Ritus erlebt.

Ritus agiert auf einer vorkausalen Gefühlsebene der Analo-gie, ein Glaube, „dass das Abbild mit dem Urbild durch ge-heimnisvolle Kräfte verbunden“ sei, u.a. beabsichtigt durch gemahlte Bilder in Höhlen, das begehrte zu jagende, ge-fürchtete, verehrte Tier zu bannen, oder durch Imitationen, Zeichen, Symbole das Wetter, die Wettergötter (sind immer männlich), zu beeinflussen (TV-Wetterberichte), in rituellen Tänzen und Massengesängen andere anzuprangern, her-abzuwürdigen, weil z. B. um eine Frau konkurriert wird, oder als um den Sieg über den Feind zu beschwören (Medien, der rituelle Kommunikations-Mittelpunkt Kral mit Feuerplatz ist heute TV-Gerät und Computer mit Internet).

Der Ritus imitiert nicht mehr, er opfert tatsächlich, inszeniert Krisen und stilisiert Sühneopfer. Und die Konsumierung dieser Verfolgungsstorys heizt die Begierden an, hält sie am kochen und wirkt epidemisch als Dauerkonflikte. Leben wird aus Sicht von Verfolgern kommuniziert. Diese permanenten Rituale zelebrieren Helden-Geschichten und Sündenböcke-, Sühneopfer-Geschichten in der gesamten atmosphärischen Spanne von Jubel-, Erfolgs-, Sieger- und Verlierer-Geschichten über Mitleids- und Angst-Geschichten, Spass- und Erbauungs-Geschichten bis hin zu Horror-, Gewalt-, Verfolgungs-Geschichten.

Das Fieber der Verdächtigungen, Denunziationen, Verfol-gungen, Opferungen von zu Feindbildern und Sündenböcken stilisierten Menschen und Gruppen ist täglich zu vernehmen. Fremder, Konkurrent, Gegner, Aussenseiter, Störer bis hin zu Staatsfeind – Zweiteilung des Landes, der Welt, der Menschen in Gut und Böse, Richtig und Falsch.
„Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich da-für zu rächen: wir anderen werden seine Opfer sein … Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter“, schreibt Friedrich Nietzsche in die „Die fröhliche Wissenschaft“. Vorgänge die sich in Parteien, Wirtschafts-etagen, bei Medien zunehmend verdichten, als hetzten sie wie getrieben auf einen Punkt zu. Hin und her zwischen Selbstachtung und Selbstverachtung schämt sich das Individuum, die Gruppe ambivalent zutiefst und rettet sich verdrängend in eine Haltung von Feindseligkeit. Gegen Etwas und insbesondere gegen Jemanden sein, rationalisiert als `heilige´ Meinung und „feste Überzeugung“, heisst die „abgöttische Andacht“ der Zeit, die „grösser als der Gott“ gemacht wird, wie Shakespeare in „Troilus und Cressida“ dichtet.

Das Böse, das Schlechte, das Falsche wird im Anderen ge-sehen, sowie im Reflex ein positives Bild von sich selbst konstruiert. Selbst als Feindseliger, als Rächer, Verfolger und Verurteiler, mehr noch, gerade dann, wächst die eigene selbstentfremdete Selbstachtung. Verkündet wird, der Ande-re wolle sich Nutzen verschaffen um seine bösen Absichten durchzusetzen. Deswegen müsse man sich selbst für das Schlimmste wappnen und wachsam sein. Die eigenen Auf-fassungen und Verhaltensweisen sind die Guten und Wah-ren, nützen dem Volk, der Demokratie, der Nation, dem Recht und dem Fortschritt, die des Anderen sind Gefahr und Bedrohung der Demokratie schlechthin. Das eigene Ma-nagement „erklärt“, „warnt“ (Franz Nuscheler) und diskutiert demokratisch Meinungen, das der Anderen „behauptet“, „droht“, ist meinungs- und demokratiefeindlich. Die eigene Gruppe ist durch zufällige Umstände oder gar feindliche, hinterhältige, die Regeln demokratischen Umgangs verletzende Angriffe vorübergehend in Schwierigkeiten und Negatives geraten, hingegen in der anderen Gruppe herrscht grundsätzlich das Schlechte und Falsche als Wesensmerkmal. „Projektive Identifikation, das hauptsächliche Kommunikationsmittel im Gruppenleben, ist das als erzwingbar fantasierte abstossen der geleugneten psychischen Anteile einer Psyche in eine andere“, Lloyd de Mausse, „Die psychogene Geschichtstheorie“.

Täglich werden Feindbilder geschürt und Sündenböcke an-geprangert. Natürlich wird die Feindseligkeit rationalisiert, als richtige Politik, richtige Meinung, richtige Ökonomie und korrekter Diskurs. Und je offensichtlicher sich das Eigennützige und Falsche an den Verkündigungen und Taten offenbart, desto feindseliger, ideologischer und dogmatischer wird darauf beharrt, christlich, sozial, liberal genannt. Fliegt die Angelegenheit auf, wird nach Rache getrachtet. Minderheiten, als Einzelne und als Gruppen, kommen dann am Schlechtesten weg.

„Medientexte sind Verfolgertexte“, sagt Jean Baudrillard, im doppelten Sinn aus und von eigenen Verfolgungsängsten. Diese permanenten Rituale zelebrieren Geschichten als: Intimitäts-Voyeurismus: plaudern aus dem Nähkästchen, spekulieren über das Nähkästchen, in den Tonalitäten süffisant, schlüpfrig, vulgär, bigott, obszön, kleinbürgerlich-doppelmoralisch; Klatsch-Tratsch-Verdacht: Beleidigung, Schmeichelei, in den Tonalitäten frotzelnd, schäkernd, sexistelnd; Denunziations-Gerücht: üble Nachrede, Gemeinheiten, Ermahnungen, Drohungen, Verurteilungen, in den Tonalitäten zynisch, hetzend, infam, verächtlich, selbstgerecht, höhnisch, hämisch.

In Deutschland waren dran Botho Strauss, Martin Walser, Günter Wallraff, Horst-Eberhard Richter, Peter Sloterdijk, Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Walter Jens, Peter Wapnewski, Elfriede Jelineck, Günter Grass, Heinrich Böll, Dieter Hildebrand, Siegfried Lenz, Horst Seehofer, Peter So-dann und auch Michael Moore sowie Minderheitengruppen und unprominente Menschen, die kurzzeitig bekannt wurden, dann Prominente aus Adel, Showbusiness, Sport, etc., Sibel Kekilli, „Tic-Tac-Toe“, Christoph Daum, Guildo Horn, Reinhold Messner, Otfried Fischer, Franziska van Almsick, Ute Lemper, Jürgen Kliensmann, Michael Jackson, Harald Juhnke und Frau, Klaus Jürgen Wussow und Frau, Katja Riemann, Mette Marit als eine Art babylonische Hetäre und viele andere …

Til Schweiger wird durch sein Engagement und seine cha-rakterliche Präsenz zur Figur des Begehrens, wie grundsätzlich bereits in seiner Eigenschaft als Künstler, und auf ihn werden Urängste und Urphantasien vor und über Fremde projiziert. Gewalt-Paniker und staatlich-gesellschaftliche Eliten geraten in Verfolgungs- und Versagungsängste und toben Hass- und Hohnanklagen („Anklagen sind Selbstanklagen“, Freud). Til Schweiger wird Identifikations-Objekt und Sündenbock. Er muss geopfert werden um die Krise zu bereinigen.
„Es ist ein menschliches Bedürfnis, sich der eigenen Gewalt und der eigenen Spannungen auf Sündenböcke zu entladen … In unserer Zeit wird der Mimetismus durch die augenblicklichen Kommunikationsmöglichkeiten und den Sensationshunger der Medien verstärkt. … Der Glaube an die natürliche Güte des Menschen endet, weil die Realität ihn immer enttäuscht, unweigerlich mit der Jagd nach Sündenböcken“ (René Girard, „Wenn all das beginnt“).

„Tarnumhang“
Der ehemalige Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, schreibt am 15.8.2011 unter Stichwort „Bürgerliche Werte“:
„Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat. Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang. Gerade zeigt sich in Echtzeit, dass die Annahmen der grössten Gegner zuzutreffen scheinen“.
Finanzmarktpolitik und Ökonomie, Ökologie und Atomkraft, Bildung und Erziehung, Sozialpolitik und Rechtspolitik, Realpolitik und Pragmatismus, überhaupt bürgerliche Politik wird nun auch auf der bürgerlichen Seite als das wahrgenommen, was sie immer war: Herrenpolitik (allerdings ist linke Politik nicht bedeutsam anders, in der Praxis; „In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage“, Karl Marx, „Thesen über Feuerbach“).
Schirrmacher weiter: „Es geht darum, dass die Praxis dieser Politik wie in einem Echtzeitexperiment nicht nur belegt, dass die gegenwärtige `bürgerliche´ Politik falsch ist, sondern, viel erstaunlicher, dass die Annahmen ihrer grössten Gegner richtig sind“.
„Bürgerlicher Werte“-Identität wackelt. Bewegt zitiert er den „erzkonservativen Charles Moore im Daily Telegraph“, wel-cher nach dreissig Jahren als Journalist an bürgerlicher Politik zweifelt, weil „linke Analysen“ sich als richtig erweisen: „Die Stärke der Analyse der Linken liegt darin, dass sie verstanden haben, wie die Mächtigen sich liberal-konservativer Sprache als Tarnumhang bedient haben, um sich ihre Vorteile zu sichern“.
Schirrmacher weiter: „,Globalisierung‘ zum Beispiel sollte ursprünglich nichts anderes bedeuten als weltweiter freier Handel. Jetzt heißt es, dass Banken die Gewinne internatio-nalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf jeden Steuerzahler in jeder Nation verteilen. Die Banken kommen nur noch ,nach Hause‘, wenn sie kein Geld mehr haben. Dann geben unsere Regierungen ihnen neues“.
Schirrmacher schliesst seinen Artikel: „Ein Bürgertum, das seine Werte und Lebensvorstellungen von den `gierigen Wenigen´ (Moore) missbraucht sieht, muss in sich selbst die Fähigkeit zu bürgerlicher Gesellschaftskritik wieder finden. Charles Moores Intervention zeigt, wie sie aussehen könnte“.

Im 19. Jahrhundert wurde eine Völkerwanderung dadurch ausgelöst, dass Europa nicht mehr der traditionelle Herr der Welt war, sondern die USA hatten sich zu einem ebenbürti-gen, wenn nicht überlegenenen Konkurrenten entwickelt. So war 1848 das Jahr des Beginns von Auswanderungswellen in die USA. Sozial und gesellschaftlich unzufriedene und arme Bürger Deutschlands, hungernde Iren, arme Skandinavier, Russen, Polen, Italiener suchten in den USA ein besseres Leben. Für das europäische Establishment bedeutete die Flucht von Arbeitern, Arbeiterinnen, Hausfrauen, Hausmädchen und Handwerkern und Kaufleuten durchaus eine öko-nomische und politische und auch eine kulturelle Bedrohung für Europa.

Der Kolonialismus und Imperialismus hat die heute so ge-nannte „Dritte und Vierte Welt“, „Entwicklungsländer“, „Schwellenländer“ Jahrhunderte ausgebeutet und der mo-derne Globalismus nun die Völkerwanderungen ausgelöst, weil er die „Bitterkeit der Geschichte“ (Michel Foucault) nicht endlich beendet, ökonomische, ökologische Ausbeutung, Hunger, Armut, Verelendung, Kriege, Gewalt … obwohl alle Bedingungen und Reichtum für eine emanzipierte humane Gesellschaft vorhanden sind, wie es Max Horkheimer und Theodor Adorno bereits 1947 in ihrer Schrift „Dialektik der Aufklärung“ nach dem barbarischsten aller Kriege anmahn-ten, erfolglos, – und obwohl wir heute alles wissen und alles können. Michel Treguer: „Am Anfang unseres Gesprächs sagten Sie, es würde in den mächstigsten Ländern nur eini-ger bedeutender Menschen guten Willens bedürfen, um `die Menschheit wieder auf die richtige Bahn zu lenken´, um die Reichen dazu zu bewegen, die Armen zu ernähren, etc. Die Schwierigkeit besteht darin, den Mimetismus umzudrehen, ihn in den Dienst des Guten und nicht weiterhin in den des Bösen zu stellen: mehrere Menschen müssten sich gleichzeitig ändern, gleichzeitig gut und barmherzig werden …
René Girard: Es gäbe nichts Leichteres, wenn wir nur woll-ten: wir wollen aber nicht. Die Menschen mit ihrem konstan-ten Paradox, ihrer Unschuld und ihrer Schuld zu verstehen, läuft darauf hinaus, zu begreifen, dass wir alle für diesen Zustand verantwortlich sind, da wir, im Unterschied zu Christus, nicht daran sterben.“ (René Girard in einem Gespräch mit Michel Treguer, 1994, „Wenn all das beginnt …“).

Der industrielle Globalismus hat zu mehr Armut und Elend geführt obwohl die Kapazitäten der Industrienationen alle Menschen, sogar höhere Anzahl von Menschen ernähren, medizinisch versorgen, kleiden und mit Behausung versehen und bilden könnte – Bildung! -, sowie Möglichkeiten sozialer Kommunikation, Unterhaltung, kultureller Erbauung, an sportlicher und kreativer und musischer Betätigung, Bildung des Herzens und des Geistes, an Zuwendung, Anerkennung und an Würde, die gesetzlich als unantastbar gilt, ermöglichen. Und dem entsprechend mit Fremden, Flüchtlingen, Zuwanderern umgehen kann.

Der altmodische Til Schweiger
„Außerdem kann man mit dem Thema Flüchtlinge nun wirk-lich keine Werbung machen: Da hat jeder Angst, sich die Finger zu verbrennen. Schauen Sie sich doch nur die Politi-ker an! Klar wird da immer aufgerufen zu bürgerschaftlichen Engagement. Aber letztlich haben Leute wie etwa die ehren-amtlichen Helfer keine Stimme. Aber ich habe eine Stimme, mich hört man“, Til Schweiger.

„Til Schweiger will Flüchtlingen helfen. Das ist gut so. Er heißt sie nicht nur willkommen, er fordert nicht nur Staat und Parteien dazu auf, mehr für Flüchtlinge zu tun – er will mit dem von ihm unterstützten Bau eines Flüchtlingsheims selbst tätig werden. Das müsste in einem Land, zu dessen Weihebegriffen das Wort „Bürgergesellschaft“ gehört, eigentlich hochwillkommen sein. Doch Schweiger erntet vor allem Hass sowie Hohn und Spott. …
Man mag ja helfen wollen, aber wohin das Ganze laufen soll, das muss man dann schon den NGOs, Amnesty International und am Ende der Regierung und dem Staat überlassen.“, schreibt Thomas Schmid in „Die Welt“.

Til Schweiger engagiert sich, obwohl ihm bereits neulich ei-ner der unglücklichen Vertreter aus dem Milieu der Renais-sance-Höfe-Bildungselite bescheinigt hat, nicht befähigt und qualifiziert zu sein eine Meinung zu haben.

Paul Katzenberger, „Süddeutsche Zeitung“:
„Til Schweiger, Enthüller der Scheinheiligkeit
Im schimpfwortreichen Duell mit CSU-Generalsekretär Scheuer entlarvt der Schauspieler die hinterhältige Professi-onalität deutscher Politiker in der Flüchtlingsdebatte. …
… etwas entlarvt: Er demaskiert die Scheinheiligkeit, die sich im öffentlichen Diskurs ausgebreitet hat. … All die alerten, rhetorisch gewandten und stets zu 100 Prozent disponierten Taktiker, die in den Talkshows landauf und landab ihre Sa-che ohne jedes Herzblut vertreten.“

Im Unterschied zu „alerten, rhetorisch gewandten und stets zu 100 Prozent disponierten Taktiker“ fühlt sich Til Schweiger klassisch altmodisch verantwortlich und handelt praktisch, entschlossen, autonom, selbstbewusst, vernüftig. Damit verleiht er den altmodischen Begriffen „Freier-Wille“, „Tugend“ und „Pflicht“ Modernität.
Der Begriff „autonom“ steht für Willensfreiheit, Freier Wille. Während „alle Dinge müssen, ist der Mensch das Wesen, welches will“, schreibt Schiller in, „Über das Erhabene“.
Die erste historisch bekannte Reflexion über Wollen, Wille, Freier-Wille leistete der antiken Dichter Homer, welcher um etwa 700 vuZ. den Begriff „hekóon“ einführte, der soviel wie freiwillig, aus eigener Absicht, nach seiner Natur handelnd bedeutet. Der Philosoph Platon schreibt, dass der freiwillig Handelnde nichts Schlechtes tun kann, da der Begriff freiwillig keine relevante Unwissenheit voraussetzt, oder, wie sein Schüler Aristoteles ergänzt, auch keinen Zwang. Freiwillig ist freier Wille aufgrund von Wissen um dasjenige, wofür man freiwillig eintritt und handelt.

Der Atomist Demokrit entwickelt um 400 vuZ. über die indif-ferenten Triebe hinaus ein Sollen als gesellschaftlich zwi-schenmenschlich Wahres und Gutes, Einsicht in sittliche Gesinnung, und zwar unabhängig davon, ob es angenehm, erfreulich, fun und einträglich, profitabel ist oder nicht.
Sokrates dann setzte Freiheit als Begriff, in dem diese als das beste Tun gelten sollte. Der Mensch wurde bestimmt als freies Wesen, welches seine Entscheidungen für oder gegen sittliches Handeln selbstständig treffen kann, in dem er durch Selbstforschung – „Erkenne dich selbst“ – und Selbstbeherrschung zur Autonomie gelangt. Jedoch ist es nicht das Wissen des Menschen, welches zur Wahl des Wahren führt, sondern vielmehr das Wissen um das Nichtwissen, „denn unser Wissen ist Stückwerk“, Bibel, 1. Korinther, „Halbbildung ist ihr Geist, der misslungener Identifikation“, Theodor Adorno.

Das altgriechische Wort „autónomos“ führte um 450 vuZ. der Dichter Sophokles ein. Autonomie charakterisiert im gesellschaftlichen Zusammenleben höchste sittliche Freiheit, Selbstständigkeit, Willensfreiheit.
Das Wahre, das Gute, Freiheit, Selbstbewusstsein, Ethik, Tugenden, das Wissen wurden zu gesellschaftspolitischen Idealen zwecks Zusammenlebenkönnen (Aristoteles) der Menschen.
Etymologisch stammt der Begriff Wissen von und bedeutet erblicken, sehen, erkennen, ich weiss, bewusst, weise, Ge-stalt, Urbild und Gewissen.
Der Begriff „Gewissen“ stammt von griechisch „syneidêsis“ und bedeutet ein verstärktes Wissen und Bewusstsein, nämlich „Mit-Wissen“.
Die antiken Griechen lehrten, dass es für jedes sittlich schlechte Verhalten gegenüber Göttern und Menschen einen „Zeugen“, den inneren „Mitwisser“ gäbe. Und Sinn dieses Wissens, Bewusstseins, Mitwissens ist Verantwortung.

Immanuel Kant trennt Freiheit in psychologische Freiheit, die abhängig ist von inneren Zwängen und niedrigen Affekten, und in transzendentale Freiheit, welche dem Menschen selbständiges Handeln ermöglicht, und schliesslich praktische Freiheit, das moralische Gesetz, welches notwendig einen freien Willen setzt, als autonome Selbstgesetzgebung: Vernunft und Verantwortung.
„Zur inneren Freiheit werden zwei Stücke erfordert: seiner selbst in einem gegebenen Falle Meister und über sich selbst Herr zu sein, d. i. seine Affekte zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen“, Immanuel Kant, „Die Metaphysik der Sitten“, §539; 1797.
„Das praktische Gesetz ist die Gesetzmäßigkeit, die herr-schen würde, wenn bei allen vernünftigen Wesen die Ver-nunft die volle Gewalt über den Willen hätte, und nicht unsere Neigungen.“ … „Der gute Wille ist allein durch das Wollen gut.“ Immanuel Kant, „Was ist Aufklärung?“.

René Descartes hatte die Selbstständigkeit des Denkens als Selbstgewissheit konstatiert: Ich denke, also bin ich.
Blaise Pascal lehrte, dass der Gebrauch des Verstands nur mit einer „Logik des Herzens“ möglich wäre.
Für G. W. Leibniz war die Vernunft grösser als die Sinne. Dem Reichen schrieb er mehr Möglichkeiten zum freien Handeln zu, als dem Armen.
Adam Smith erklärte zu Tugenden: Klugheit, Gerechtigkeit und Güte. Mitmenschlichkeit, Sympathie ist seine sittliche Grundlage, derart für einen wirtschaftlichen Markt mit einer Harmonie zwischen Produktion, Lohn, Preis, Konsum.
J. G. Fichte verstand Freiheit als Bewusstsein selbst und als Grundsatz, wovon sich Sein und Naturgesetze ableiten und die Sittengesetze.
Auch F. W. J. Schelling war der Auffassung, dass Freiheit den Naturgesetzen Wirksamkeit gebe, und dass Freiheit das Gute oder das Böse ermögliche.

„Es ist verfassungsfeindlich, zum Mord aufzurufen, zu Brandanschlägen, das ist verfassungsfeindlich! Und wo ist das Mitglied unserer Regierung, der sich hinstellt und sagt: Nein, dafür werdet ihr bestraft!“, Til Schweiger in Talk-Show „Menschen bei Maischberger“.

Der Mensch versucht stets seine Umwelt zu kontrollieren um seine unbewussten archaischen Ängste zu mildern und sich sicher zu fühlen; auch Inhaber von politischen, wirtschaftlichen u.a. Machtpositionen! Je bekannter Umwelt und Menschentypen, desto sicherer das Befinden, das sozusagen eigene Volk ist ein sicherer Kral. Bereits ein einzelner Fremder wird misstrauisch, d.i. ängstlich beäugt, hunderte und tausende lösen Panik aus.
Ein Teil der Bürger empfindet Fremde in ewigen Wiederho-lungszwängen grundsätzlich als Angst-Gegner, nicht ein-schätzbar, Unsicherheit und Gefahr. Um Flüchtlinge wird sich gekümmert, auch wenn mangelhaft, sie bekommen Unterkunft, Nahrung, Sachen etc., von Staat, NGOs, Ehrenamtlichen Hilfen … sie bekommen Zuwendung und Anerkennung.
Individuen und Gruppierungen plus psychopathische Fanatiker die unter traumatischen Anerkennungs-Versagungsängsten leiden und niedertriebige Rationalisie-rungen in schriftlicher Gewalt in Sozialen-Medien und in Gewalt-Demonstrationen und Gewalt-Anschlägen gegen Sachen, Leib und Leben in öffentlichen Räumen umsetzen: Fremdenangst rationalisiert in Fremdenhass und umgesetzt in Gewalt ist Substitut für Angstpanik um sich selbst, abge-wehrte Todesangst davor, dass Fremde das eigene Sein einnehmen könnten, den Paniker auslöschen und ersetzen. Mit der Energie dieses Urangst-Verfolgungswahns mit negativer Übertragung und Projektion mittels archaischer Affekte Hass, Neid, Konkurrenz, Eifersucht, Misstrauen, Verleumdung etc. verfolgen sie Fremde, tun das, was sie fürchten. Folgerichtig bezichtigen sie diejenigen, die Fremde, Flüchtlinge unterstützen als „Volksverräter“. Entsprechende intellektuelle und theoretische Fremden- und „Rassen“-Rationalisierungen sind spätestens seit dem 19. Jahrhundert verbreitet und insbesondere im Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts politische Ideologie und Praxis geworden. (Mit dieser intellektuellen Absurdität und „Impotenz des Herzens“ (Erich Fromm) hängt zusammen, dass die Führungsfiguren um Hitler und zu förderst unübertroffen der selbst abgrundtief lächerlich wirken und sind, trotz des Grauens, vor dem man verzweifelt).

Gesellschaftlich werden diese Ängste und die Paniker ge-ächtet und ausgegrenzt – in der Rockszene gerne „rechte Schweine“ genannt. Diese individuelle und gesellschaftspolitische Wunde kann nicht behandelt werden, wenn sie ausgegrenzt und abgewehrt wird, sie verschlimmert sich und wird epidemisch. Als Generalmassnahme Gewalttäter „mit aller Härte des Gesetzes bestrafen“, „einsperren“ ist zwingend notwendig, darf aber nicht alles sein, da nur einsperren noch nie Aufklärung und Erkenntnisse und gesellschaftliche Verbesserungen eingebracht hat.
Ob man es nun wahrhaben will oder nicht.
Um Flüchtlinge wird sich also gekümmert. Und so empfinden es Teile der Bürger, von Enttäuschten, Armen, Ungebildeten, Pegida-Bürgern, bis zu militant gewordenen rechten Fanatikern, Kriminellen, Verirrte, Verblendete, psychisch Gestörte, überwiegend aufgrund von Un- und Falschbildung und sozialer und psychofamilierer Traumata, – in den untersten Schichten wie in den mittleren und Oberschichten! („… das Denken der Eltern prägt sich den Kindern unauslöschlich ein, und die am Tisch mit Nachdruck geäusserten Vorurteile der Väter haben im Ohr der Kinder den Klang ehrwürdiger Weisheiten …“, Franz Böhm, 1954, „Geleitwort der Studie des Frankfurter Instituts für Sozialforschung über die öffentlichen und nichtöffentlichen Meinungen im Nachkriegsdeutschland“). Letztere, Bildungsbürgertum, Bildungselite, Kapitalelite ha-ben das 20. Jahrhundert gemacht, nicht „Pack“, „Pöbel“, „Mob“, „Gesindel“. Mit derartigen Starkreden, herabsetzende Bezeichnungen für das einfache Volk!, eben „die Menschen draussen“, „die Menschen auf der Strasse“, wegen unkultivierten, asozialen, kriminelle Verhaltensweisen – auch das ist Denunziation statt Aufklärung – ist kein Staat zu machen.

„Gabriel war auch bei den Pegida-Leuten in Dresden, das kam nicht überall gut an.
Wieso eigentlich? Mein Kumpel Xavier Naidoo war in der Presse plötzlich ein Nazi, weil er mit diesen Leuten diskutie-ren wollte“, Til Schweiger.

Darüber hinaus sind es Begriffe aus der Zeit des Mittelalters, des politischen Absolutismus, mit staatlicher Wirtschaftsteuerung, zum Zwecke der Herabsetzung des einfachen Volkes.
„Pack“, „Gesindel“, „Pöbel“ stammt von Gepäck, Bündel das im Tross mitgeführt wird – was nun gerade zu den Flüchtigen passen würde und nicht zu den Sesshaften im Land. Und die Trossmannschaft waren die Gepäckträger der kämpfenden Soldaten in den Armeen, und sie galten als minderwertig, ähnlich wie heute Gepäckträger, Sherpas, „Assis“ etc.
Und „Mob“ bezeichnet den „Pöbel“ aus dem 18. Jahrhundert im englischen: „aufgebrachte, aufgewiegelte! Volksmenge, mobil, verselbständigt“. Elias Canetti schreibt in „Masse und Macht“, dass der Verlust der Individualität in der Masse als befreiend erlebt wird, die Menschen „ihre Verschiedenheiten loswerden und sich als gleiche fühlen“. Jetzt ist man wer, das „helle und dunkle Deutschland“ (auch keine aufklärende und verbessernde Begrifflichkeit, eher an die dunkelsten Zeiten Deutschlands erinnernd, als „Humanität mit Füssen“ getreten wurde, Hegel).
Solche Bezeichnungen sind auch eine Art „Tarnumhang“, verschleiern den realen Kern und damit Lösungsmöglichkeiten.
Das Bildungsbürgertum hat Kriege des 20. Jahrhunderts und Elend und Armut produziert, und mit der europäischen Politik seit den 50er Jahren die heutigen Flüchtlinge, nicht Ti Schweiger und seine Fan-Schichten, und auch nicht die Facebook-Hasser und nicht einmal die Gewalttäter mit Brandstiftung und Mordanschlägen.

„Aggressionen waren zu der Zeit, als wir in Höhlen lebten vermutlich ein Vorteil. Wir brauchten sie, um mehr Nahrung zu bekommen, um unser Territorium zu verteidigen oder mehr Partner zu gewinnen, mit denen wir uns fortpflanzen konnten. Doch jetzt drohen unsere Aggressionen uns alle zu zerstören. Wir müssen unsere Aggressionen durch Mitgefühl ersetzten“, sagte unlängst der Physiker Stephen Hawking.
Das gilt für alle `Seiten´.
Neben künstlerischen Kommunikationsweisen haben Men-schen eine Generalkommunikationsweise um – demokratisch – zu kommunizieren, Sprache, und die Sprache ist das Bewusstsein, die Bildung.
Til Schweiger lebt und bildet Sprache als Schauspieler, Synchronsprecher und als Drehbuchschreiber, und als „mündiger Bürger“, der „kein Blatt vor den Mund nimmt“. Und er handelt. Für Flüchtlinge. Und im Sinne der vielen Ehrenamtlichen, mit Stimme, aber ohne bedeutsame Wahrnehmung derselben.

30. August 2015