Marketing

Die bürgerlich-industrielle Produktion von Armut und Unbildung und `Philosophie´ Marketing-Kommunikation

„… Trübheit dessen, was die Ekstase erzeugte … nicht der Begriff, sondern die Ekstase … soll die Haltung und fortleitende Ausbreitung des Reichtums der Substanz sein“

Hegel, „Phänomenologie des Geistes“

„… die Ekstase ist der Geist jedes Tages …“
Marx, „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“

Hunger und Armut ist der Urzustand der Menschheit,  Hunger und Armut haben die  Menschheitsgeschichte durchlaufen und nie aufgehört, wie Folter, wie Unterdrückung und wie Rache an Kindern, die Ärmsten der Armen. Hunger und Armut sind zum gesellschaftlich systematisierten Verwaltungsakt organisiert worden, wie daneben unsichere Einkommen. Die Armen leben zusätzlich, neben ihrer Armut, ihrer Isolation, zu Unpersonen gemacht, in dem ständigen Nichtwissen darüber, ob dieser Zustand je aufhören wird. Und die Menschen mit unsicheren Einkommen leben in der Angst der Armut anheim fallen zu können. Selbst Menschen mit gewissem Reichtum leben mehr oder weniger in der Angst verarmen zu können. Und dieser Zustand wird aufrecht erhalten, obwohl die Kapazität des Reichtums der Welt, die gesamte Menschheit problemlos und sogar die doppelte Anzahl von Menschen ernähren könnte. Die Besitzer und Verfügungsgewaltigen über Reichtümer müssten deswegen nicht wirklich ärmer werden. Wer meint, er müsse über mehr Geld und sonstigen Besitz verfügen, als ein Mensch im Leben, oder in mehreren Leben benötigt, mag glücklich damit werden, wenn er glücklich damit wird.
Baronin von Brandstetter sagte 2008 in einem RTL-TV-Interview, dass sie sich mit ihrem Vermögen von vierzig Millionen Euro „wie eine Sozialhilfeempfängerin“ fühle, angesichts der Preise der Yachten von um die einhundert Millionen Dollar bei einer Yachtausstellung in Monte Carlo. Ihre Sicht ist nachvollziehbar mit Blick auf Vermögen von hunderte Millionen und von Milliarden Dollar.
In der modernen Konsumismus-Gesellschaft bringt nur der den Verwaltern von Besitz und Kapital Gewinn, der Arbeit hat. Er produziert Mehrwert und konsumiert Waren. Tugendhaft ist nicht mehr nur der Besitzende, und auch nicht zusätzlich der Arbeitende. sondern insbesondere der Konsumierende, der Homo Konsumismus. Untugendhaft ist jetzt der Arbeitslose als Nichtkonsumierender.
Nicht nur Adam Smith, Hegel und Karl Marx haben vor rund 200 Jahren erkannt, dass der Kapitalismus nicht existieren kann, ohne Elend zu produzieren, dass einseitiger Reichtum vielseitigen Mangel schafft, sondern u. a. auch der englische Mathematiker und Ökonom John Maynard Keynes – der berühmte „Keynesianismus“, eines der Lieblingssystem von Demokratien -, welcher prophezeite, dass das System der modernen Marktwirtschaft grundsätzlich keine stabile Entwicklung garantiere.
Einerseits wurde nun als Voraussetzung für Selbstbewusstsein, Autonomie, Willensfreiheit, individuelle Selbstverwirklichung politische Freiheit gesehen, andererseits wurde Ausbeutung, extrem ungleiche Verteilung von Reichtum, Unterdrückung und Verschärfung des sozialen Verdachtmilieus perfektioniert.
Der Mitbegründer des europäischen Sozialismus Moses Hess in „Über die Not in unserer Gesellschaft und deren Abhülfe“: „Der Egoismus hat seinen Kreislauf vollendet, und diese Vollendung hat er in der Konkurrenz erreicht. In ihr hat der Egoismus seine klassische Gestalt erhalten.“ … „Die falsche Bildung aber, welche den Menschen zum gebildeten Raubtier macht, kann immer nur den Einen auf Kosten des Andern bereichern.“ … „Ja, wir glauben, dass die Menschen noch einen höhern Beruf haben, als sich gegenseitig auszubeuten.“ … „Klagt nicht die menschliche Natur an, wenn ihr Bosheit, Dummheit, Niederträchtigkeit, Unglück und jede Art von Elend in unserer Gesellschaft findet – klagt die unmenschlichen Verhältnisse an, die das beste, humanste, tätigste Geschöpf in Elend und Laster stürzen können.“
Der preussische Staatsphilosoph Hegel schrieb über Armut, u. a. in den „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“: „Die Entstehung der Armut ist überhaupt eine Folge der bürgerlichen Gesellschaft, und sie ergibt sicht im ganzen notwendig aus derselben … Es häuft sich so Reichtum ohne Mass und Grenze an der einen und Not und Elend an der anderen Seite … Die Vermehrung des Reichtums und der Armut hält gleichen Schritt … Mit der Anhäufung der Reichtümer entsteht das andere Extrem, Armut, Not und Elend … Nicht nur die äussere Not ist es, die auf dem Armen lastet, sondern es gesellt sich dazu auch moralische Degradation … Diese beiden Seiten, Armut und Reichtum, machen so das Verderben der bürgerlichen Gesellschaft aus“.
Für Hegel ist Leben und Wirken Jesu exemplarisch für ein ethisch reines Leben im allgemeinen Leben. Die „schöne Religion“ ist Teil seiner zu sich selbst kommenden Geschichte der Philosophie, die Gedanken der Vergangenheit seit den Griechen über sich selbst zu reflektieren, als ein System der spekulativen „Metaphysik des Absoluten“. In der „Phänomenologie des Geistes“ wird die Bildung des menschlichen Wissens methodisch als Stufengang rekonstruiert: das individuelleBewusstsein, die individuelle Selbsterfahrung als Selbstbewusstsein an anderem Selbstbewusstsein, Vernunft, Geist, Religion als das Wesen und das Absolute Wissen als der Begriff, als die „begriffene Geschichte“.
Die Philosophie des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes zeigt, wie der Geist aus seiner natürlichen Ursprünglichkeit in sich sich selber einkehrt. Im „subjektiven Geist“, was er als seiner selbst überhaupt ist und in Beziehung zu sich selbst, für sich lebt, in den Variationen seiner Sittlichkeit. Und im „objektiven Geist“ erreicht der Geist seine Freiheit als Notwendigkeit in diesen sittlichen Formen  der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft, Staat und Recht.
Die natürlichen Stufen der Entwicklung sind jeweils besondere, einzelne. im „absoluten Geist“ hingegen sind die unteren Stufen nur Aspekte, Schritte der höheren Stufen: die Anschauung in der Kunst, die Vorstellung in der Religion und der Begriff in der Philosophie.
Im Staat sieht Hegel die Klassengegensätze in den Gesellschaften organisiert, weswegen er als „absolute Freiheit“ wirkt. Hegel versteht die Geschichtsphilosophie als vernünftige Entwicklung, in der der jeweilige Zeitgeist als „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ wirkt. In den „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ erklärt Hegel sein eigenes System der abendländischen Philosophiegeschichte seit den Griechen als Synthese.
1807 schrieb Hegel in der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“:
„Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. …
… Das Schöne, Heilige, Ewige, die Religion und Liebe sind der Köder, der gefordert wird, um die Lust zum Anbeissen zu erwecken; nicht der Begriff, sondern die Ekstase, nicht die kalt fortschreitende Notwendigkeit der Sache, sondern die gärende Begeisterung soll die Haltung und fortleitende Ausbreitung des Reichtums der Substanz sein“.
Hatte Hegel die Begrifflichkeit als Entwicklung des philosophischen Denkens, also die Entwicklung des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und des Geistes und des Lebens überhaupt bis an die Grenze verdichtet, und über die  Verhältnisse des allgemeinen Denkens und gesunden Menschenverstandes gewarnt, so wendete Marx die idealistische Ausgangslage und breitete Mythos und Ekstase auf dem Boden der Tatsachen des Seins aus, welches das Bewusstsein bestimmt: „Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden“ (Aus dem. lit. Nachl. 11).
Und hinsichtlich seiner Vordenker, die die Entwicklung des Denkens ausführten: „Die Philosophen haben die Welt verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern“, und: „Die Sinnlichkeit muss die Grundlage aller Wissenschaft sein“, denn es geht um „die Emanzipation aller menschlichen Sinne und Eigenschaften“.
Und hinsichtlich des Geistes, der sich seit den Sieben Weisen entwickelte, um den Neuen Menschen zu befördern: „Unser Wahlspruch muss also lauten: Reform des Bewusstseins, nicht durch Dogmen, sondern durch Analysierung des mystischen, sich selbst noch unklaren Bewusstseins (es wird sich dann zeigen, dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen„).
Marx erkannte den mystisch-rituellen und meta-religiösenFetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“, und dass die Waren und deren Preise die Kriegswaffen ersetzen, und den Hass gegen andere Nationen und Völker in Handel und Geschäftemachen verwandeln, wie es Norbert Bolz in „Das konsumistische Manifest“ betont.
Peter Sloterdijk bemerkt dazu in  „Spähren III, Schäume“, dass die Kaufkraftbesitzer die „explizit gemachte menschliche Natur durch den Verzehr von Gegenständen, Zeichen und Lebenszeiten“ verwirklichen. „Der konsumistische way of life besitzt freilich den Nachteil, dass der Marktfrieden die Menschen nervlich unterfordert – ihnen fehlt das Ernstfallgefühl, dass die Befreiung von der Langeweile verspricht“.
Norbert Bolz hat in seinem Buch „Das konsumistischen Manifest“ den Konsumismus zum „Immunsystem der Weltgesellschaft“ erklärt, welcher gegen den religiösen Fundamentalismus mit seinem `Reichtum´ weltweit alle Menschen beglücken und so Frieden stiftet, obwohl wir wissen, dass der konsumistische Kapitalismus Armut schafft, und, wie also Marx schreibt: „Aller Mystizismus der Warenwelt, all der Zauber und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grundlage der Warenproduktion umnebelt, verschwindet daher sofort, sobald wir zu anderen Produktionsformen flüchten“. Und Marx und Engels schreiben in „Manifest der Kommunistischen Partei“: „In dem Masse, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander“.
Das Wesen des Friedens besteht nicht in verblendenden und verblendetem Konsumismus, sondern in Wohlstand für alle, Abschaffung von Armut. Nietzsche betont warnend: „Es gibt keinen gefährlicheren Irrtum, als die Folge mit der Ursache zu verwechseln: ich heisse ihn die eigentliche Verderbnis der Vernunft“, „Götzen-Dämmerung“, „Die vier grossen Irrtümer“. Die Aufhebung von Armut und Existenzkampf wäre das Immunsystem der Weltgesellschaft, der Reichtum, der weltweit alle Menschen entspannen und so Frieden stiften, und es wäre der friedliche Ernstfall der die Befreiung von der Langeweile vermag, die konsumistisch eine Langeweile ist, die auf den Tod wartet,  – oder diesen herbeiführt.

`Philosophie´ Marketing-Kommunikation

Sigmund Freud schrieb vor etwa 90 Jahren in „Massenpsychologie und Ich-Analyse“: „Selbst zu allen Extremen geneigt, wird die Masse auch nur durch übermäßige Reize erregt. Wer auf sie wirken will, bedarf keiner logischen Abmessung seiner Argumente, er muss in den kräftigsten Bildern malen, übertreiben und immer das Gleiche wiederholen“

Die amerikanische Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrisson sagte in einem Interview, dass Präsident Bush nach dem 11. September in einer Ansprache an die US-Bürger verkündete, sie sollen wieder in die Läden gehen und shoppen. Morrisson: „Von dem Vielen, was er hätte sagen können, sagte er das. Wir sind als Bürger vernichtet, wir sind nur Konsumenten“.
Die Welt hat sich zu einem Supermarkt entwickelt. Die Verdrängung des antikapitalistischen Versorgungssystems durch den kapitalistischen Supermarkt hat die Welt zu Regal- und Verpackungs-Menues manifestiert, die Menschen zu Konsumismus-Subjekten-Objekten. Der Mensch ist zum Homo Ecstaticus-Konsumismus geworden.
Konsum ist ursprünglich totemistischer Verzehr, Einverleibung, Kommunion (Walter Benjamin schrieb bereits in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts vom „Kapitalismus als Religion“, andere Autoren von Geld und Religion, und der Gesellschaftsphilosoph Hermann Lübbe spricht von der „modernen Konsumökumene“.
Städte, Landschaften, Verkaufsgeschäfte, Zeitungen, TV, Internet sind zu Schau-fenster geworden. Kaufhäuser sind Konsum-Tempel und Einkaufpassagen heilige Katakomben, Gelegenheit für Schauen, Staunen, Begehren, Kaufen, Essen und Trinken, Unterhalten und Amüsieren, Ausruhen und Schlendern und stressig Hasten, – Andacht, Gebet, Absolution, Segen.
Länder, Regionen, Städte locken als Pilgerstädte mit dem heiligen Marken-Bezirk inmitten: NY, Milano, Paris, Berlin, Türkei, Florida, Bayern  („I like …“), – aus der Provinz und von weit her pilgern Menschen – nicht nach Rom oder Mekka – sondern in die großen heiligen Konsumgebiete, und dies steht auf Einkaufstüten und Sticker,  T-Shirts, etc.
Die öffentlichen Räume, die Plätze, die Marktplätze, Konsumbezirke, Konsumtempel, Landschaften sind mytische Kultorte, Zauberkreise, enttabuisierte mytische Spielplätze. Der Spielplatz, Platz um das Lagerfeuer, im Kral, Dorfplatz ist der Grund-Archetyp öffentlicher Räume und Privat-Haushalte – noch aus den Muttergesellschaften stammend. Die ganze Welt ist zum Spielplatz geworden: für globalen Handel mit Geld, Waren, Informationen, Menschen, Gefühlen, kommuniziert von Marketing-Kommunikation und TV-Shows und moderiert von Politik, als wären Menschen und Dinge nur ein immer währendes grandioses Spiel mit grossen Autos, Palästen, Pomp und Pracht, Helden und Bösewichte, Präsidenten und Denkmäler und Geld und Rituale, mit viel viel Spass, Narzismus und Egoismus.
Der höchst bedeutungsvolle Aspekt der Gewinnung des Feuers für die Menschheit und dessen Gebrauch in Magie und Riten, wird heute wiederholt auf der Ebene der Leuchtreklamen in öffentlichen Räumen, als Spots- und Laser-Shows und in Discos und als Lichtdesign in Restaurants, Bars und Verkaufsgeschäfte, Shopping-Center. Funkelnde, illuminierende Zeichen und Bilder in den Strassen, zeremonielle Geschichten aus Neon, Anstrahlen von Monumenten, Weihnachts-Zauber-Lichtspektakel, Silvester, Jahrmärkte, Feuerwerk, „Rotlichtviertel“.
Der Meeting Point des Lagerfeuers – Feuers auf dem heiligen Platz in der Mitte des archaischen Krals – der Familie und des Singles heute, ist, neben dem Herd für eine leibliche Grundversorgung und dem Kamin oder der Heizung für eine andere leibliche Grundversorgung, Fernsehapparat und Internet, die Paarbildung. TV und Internet sind das ekstatische Zauberfeuer auf dem Dorf-Spiel-Platz aus dem es sprüht und funkt, Bilder illuminieren, sie ziehen in Bann. Und der Obolus, der früher an den Hohepriester, Zauberer, Medizinmann, Schamanen, Magier gezahlt wurde, für seine Segen, Gesänge, Geschichten, Deutungen und Prophezeiungen die er im Feuer inszenierte und sah, zahlt man heute an die Organisationen für TV-Gebühren und an T-Online, für Musiksendungen, Filme, Infosendungen und Deutungs-Talks, -Kommentare und für die täglichen Prophezeiungen des Wetters. Und dies alles in ständigem Wechsel mit bunt sprühenden Werbe-Spot-Geschichten, – ein Festival-Wettbewerb der archaischen Feuer-Geschichten-Zauberer.
Entscheidend ist die innere Befriedigung. Dieses übersinnliche, nicht greifbare Geheimnis des „Inseins“ (Martin Heidegger), ist ähnlich wie ein tiefes religiöses Geheimnis. Marken sind Totem. Der Sinn des Totem ist die Benennung, der spirituelle Name, der Stammesname zu dem man gehört – Marken, Vereine, Produkte und Dienstleistungen, Stars, Politiker, Parteien und Nationen.

Der „Zukunftsberater“ und „Trendcoach“ Gerd Gerken schreibt in „Trendzeit – Die Zukunft überrascht sich selbst“, dass „immer mehr Werte“ entstehen, „die der Gesellschaft helfen, sich zu befreien von den eigenen Normen und Rollen. Das ist das, was ich den `kinetischen Wertewandel´ nenne. Der Kommunitarismus ist also ein Trend, der unserer Gesellschaft diejenigen neuen Werte vermittelt, die in der Lage sind, Vergangenheit und kulturelle Verpflichtungen aufzulösen. Dieser Trend erzeugt deshalb eine neuartige `Freiheit, Regeln zu sprengen´ (Eberhard Döring).
Parallel zu dieser Entwicklung in den USA und in Kanada hat sich in Deutschland eine ähnliche Idee entfaltet … die Idee des Optionalismus. Sie geht noch einen Schritt weiter. Sie belässt es nicht bei den neuen Werten der Freiheit, sondern prägt eine `Ideologie der Offenheit´.
Eine Säule dieser Gedanken ist der bereits beschriebene Trend zur Telematik. Für Flusser ist eine telematische Gesellschaft permanent bemüht, in der Schwebe zu sein. Damit trennt sich die Kultur von dem Modell der Gewissheit und geht zum Modell der Offenheit … Schweben ist der Zustand, an dem sich Offenheit und Freiheit vereinen.
Aus dieser Sicht ist der aktuelle Optionalismus eine Kultur-Strömung, die weitaus radikaler in unseren Alltag eingreifen wird als der aktuelle Wertewandel. Denn es ist eine wesentliche Achsenverlagerung vom Grundmuster der `Angst´ zu dem neuartigen Grundmuster der ´Ekstase´“ (Kursivsetzungen von Gerd Gerken).

Das vielmehr uralte Grundmuster Ekstase erzeugt nun keineswegs „Offenheit und Freiheit“. Gerken preist eine Art Behagen in der Natur, einen Naturzustand der Ekstase. Ein uralter unbewusster „Tarnumhang“.

Das Ur-Ich des Vatermordes, des Lynchmordes, der Seelenkern sind Rivalität, Neid- und Eifersuchts-Ekstasen. Dieser Ritus wird in der Fremdenfeindlichkeit, überhaupt in der Feindseligkeit wiederholt (als mimetischer, unbewusster Wiederholungszwang), indem der unbewusste Selbsthass auf den `Anderen´ projiziert wird. Der Sündenbock ist Opfer des Hasses und zugleich wird er auch Objekt der gefürchteten Verehrung. Unbewusste Ängste und Schuldgefühle machen sich breit und suchen Erleichterung und Bestätigung der Tat durch die nächste Verfolgungs-Lynch-Ekstase. Schliesslich wird Verfolgungs-Denunziations-Lynching zur Normalität, vom Ausnahmezustand zum Dauerzustand. Allseitige Ekstase ist der mystisch-spirituelle Stimulus als Substitut für begriffene Iche und Welt.
Der Philosoph Hobbes schrieb, eine Person gehöre entweder sich selbst oder einem anderen. David Hume nannte den Menschen eine „Gespensterer-scheinung“, der nach „Erlösung dürstende“ Mensch ist ständig gestört und in Angst. Das Subjekt ist zwischen seinem Ich und seinem Anderen zerrissen.
Nach Bataille und Klages zeigt sich Ekstase auch und gerade in durchschnittlichen und alltäglichen Prozessen der Selbsterfahrung. Menschliche Erfahrung ist bereits im ursprünglich Subjektiven als ekstatisches Phänomen zu erkennen.
Weil das Ich sich der Welt gegenüber nicht bewusst identiviziert, lebt (nicht erlebt), es sich und die Realität in einer Art überbelichteten Selbst- und Fremdwahrnehmung, die die vernünftige Erfahrung des Selbst und der Welt aufhebt, auflöst.
Ludwig Klages schrieb über Ekstase in dem monumentalen Werk „Der Geist als Widersacher der Seele“, und in seinem Buch „Vom kosmogonischen Eros“: „Was ist es, das sich in der Ekstase befreit? Wovon befreit es sich? Was gewinnt durch sein Freiwerden das sich Befreiende?“ Und weiter, dass sich nicht „der Geist des Menschen befreit, sondern die Seele; und sie befreit sich nicht, wie man wähnte, vom Leibe, sondern gerade vom Geiste!“
Klages zentrale These des Bewusstseins und seines Ich-Begriffs ist Ekstase als „Seelenentgeistung“, als „Seelenentselbstung“ -, „Tod des Ichs“.
Georges Batailles hat in mehreren Schriften Bewusstseinstheorien behandelte, Bataille: „Ich gehe von einer elementaren Tatsache aus: Der lebende Organismus erhält, dank des Kräftespiels auf der Erdoberfläche, grundsätzlich mehr Energie, als zur Erhaltung des Lebens notwendig ist. Die überschüssige Energie (der Reichtum) kann zum Wachstum eines Systems (zum Beispiel eines Organismus) verwendet werden. Wenn das System jedoch nicht mehr wachsen und der Energieüberschuss nicht gänzlich vom Wachstum absorbiert werden kann, muss er notwendig ohne Gewinn verlorengehen und verschwendet werden, willentlich oder nicht, in glorioser oder katastrophischer Form„… „Niemand kann im gleichen Augenblick Bewusstsein haben und die Erfahrung (der Ekstase) machen von der ich spreche. Meine Erfahrung ist im wesentlichen die einer Verneinung des Bewusstseins, sie ist das zunichte gemachte, um das Objekt beraubte Bewusstsein“ … „Zweideutigkeit der Ekstase“ … „verirrt sich das Subjekt, geht im Objekt unter, das sich seinerseits auflöst“ … „Es handelt sich darum, ins Innere einer auf die Diskontinuität gegründeten Welt soviel Kontinuität einzulassen, wie diese Welt ertragen kann“ … „wie unerhört schwer es den Menschen fällt, ein subjektives, souveränes Leben zu führen“.
Ekstasen im individuellen und kollektiven Seelenkern wirken sowohl aus archetypisch-atavistische Urphantasien, die womöglich aufgrund von „Versagungen“ als „Dramatisierung verdrängter Wünsche“ (Freud) mimetisch-rituell agieren, als auch aus aktuellen Sensationen `kinetisch´ global kommunikationiert und konsummikationiert werden (Konsumismus + Kommunikation = Konsummikation), im gesamten ekstatischen Spannungsbogen von Trance und Apathie über Schwärmerei bis hin zu Verzückung, Besessenheit, Delirium und Raserei.
Nationen, Kontinente, die Welt sind zu einer Ozeanisch-Kosmischen-Ekstasegemeinschaft geworden, ekstatisch arrangiert von einemVerbund“ (Oscar Negt, Alexander Kluge) von Medien-Politik-Wirtschaft-Kultur-Funktionär-Ekstatiker, der seinerseits Partikel der zivilisekstatischen Kreisläufe ist.
Jean Laplanche und J.-B. Pontalis schreiben in „Urphantasie, Phantasien über den Ursprung, Ursprünge der Phantasie“: „Wenn Freud sich die Frage stellt, ob es beim Menschen etwas dem `Instinkt der Tiere´ Vergleichbares gebe, so findet er dieses Äquivalent nicht in den Trieben, sondern eben in den Urphantasien.“
Anthropologisch-psychoanalytisch und evolutionsbiologisch, molekularbiologisch, genetisch, ethnologisch, etc., scheint es, dass der einzelne Mensch in seiner individuellen Entwicklung die Stammesgeschichte wiederholt, diese biologisch und in seinen unbewussten Phantasien durchläuft.
Die Entstehung des Denkens, Psychogenese, und des Ich-Bewusstseins, Noogenese, ist übergegangen in eine Zweideutigkeit zwischen traditioneller Vernunft und dem Einmünden des Denkens zu einer höheren Lebensform, „Konvergenz des Geistes“, wie Teilhard de Chardin es nennt.
Die wahre Seele ist die Gruppenseele, Weltseele in welcher der gesamte verfügbare Seelenstoff in Gruppenfunktionen aufgeht. Soziale Gruppen agieren wie Theatergruppen, Selbsterfahrungsgruppen. Die Mächtigeren arbeiten ihre verlorene Zweiheit in Einheit mit der Mutter (die ganze Welt ist die Mutter, Geza Róheim, bereits die Bauchmutter, atmos-phärisch-ontologisches Medium des Fetus) an den anderen als einverleibende `Personenverwechslung´ verzweifelt-manisch ab, indem sie diese zu Sündenböcken machen.
Peter Sloterdijk verweist in einem Gespräch mit Hans-Jürgen Heinrichs in „Die Sonne und der Tod“, darauf, dass zeitgenössische Intellektuelle und Schriftsteller „die Traumüberschüsse der eigenen Epoche und ihren Terror in sich spüren“ müssen, um etwas zu sagen zu haben: „Man redet in gewisser Weise mit einem Sprechauftrag des Staunens und des Schreckens oder, allgemeiner gesagt, der ekstatischen Potentiale der eigenen Zeit.“
Gilles Deleuze und Félix Guattari schreiben in „Was ist Philosophie?“, dass Philosophie nicht ist: „Kommunikation, die potentiell nur Meinungen bearbeitet, um `Konsens´ und nicht Begriffe zu schaffen. Die Idee eines abendländischen demokratischen Gesprächs zwischen Freunden hat niemals den geringsten Begriff erzeugt. … Die Philosophie betreibt keine Kontemplation, reflektiert nicht, kommuniziert nicht, obwohl sie Begriffe für diese Aktionen oder Passionen schaffen muss. Die Kontemplation, die Reflexion, die Kommunikation sind keine Disziplinen, sondern Maschinen zur Bildung von Universalien in allen Disziplinen.“
Gerd Gerkens „Verlagerung vom Grundmuster der `Angst´ zu dem neuartigen Grundmuster der ´Ekstase´“ offenbart sich nicht in „Offenheit und Freiheit“, vielmehr ist Marketing-Kommunikation selbst die Ekstase, die nicht weis wo ihr der Kopf steht.
Deleuze und Guattari weiter: „Von Prüfung zu Prüfung stiess die Philosophie auf immer unverschämtere, immer unheilvollere Rivalen … Schliessliche wurde der Tiefpunkt der Schmach erreicht, als die Informatik, das Marketing, das Design, die Werbung, alle Fachrichtungen der Kommunikation sich des Wortes Begriff, Konzept, selbst bemächtigten und sagten: Das ist unsere Sache, wir sind die Kreativen, wir sind die Konzeptmacher! Wir sind die Freunde des Begriffs, des Konzepts, wir bringen ihn in unsere Computer. Information und Kreativität, Konzept und Unternehmen: schon eine ausufernde Bibliographie … Das Marketing hat am Gedanken eines gewissen Bezugs von Begriff und Ereignis festgehalten: gerade hier aber ist der Begriff zur Gesamtheit der Präsentationen eines (historischen, wissenschaftlichen, künstlerischen, sexuellen, pragmatischen …) Produkts und das Ereignis die Zurschaustellung geworden, die verschiedene Präsentationen und den von ihr erwarteten `Ideenaustausch´ inszeniert. Die einzigen Ereignisse und Ausstellungen und die einzigen Begriffe Produkte, die man kaufen kann. Die allgemeine Bewegung, die die Kritik durch promotion ersetzte, hat ihre Wirkung auf die Philosophie nicht verfehlt. Das Trugbild, das Simulacrum, die Simulation einer Nudelpackung ist zum wahren Begriff, Konzept, geworden, und der An- und Darbieter des Produkts – Ware oder Kunstwerk – ist zum Philosophen, zur Begriffsperson oder zum Künstler geworden … schmerzlich zu erfahren, dass `Konzept´ eine Gesellschaft von Dienstleistungen und Informations-Engineering bezeichnet. Je mehr aber die Philosophie mit schamlosen und albernen Rivalen aneinandergerät … desto mehr fühlt sie sich zur Erfüllung der Aufgabe getrieben, nämlich Begriffe zu schaffen, die eher Meteoriten als Waren sind … So ist denn die Frage der Philosophie der singuläre Punkt, an dem sich Begriff und Schöpfung aufeinander beziehen.“
Massnahmen, bedrängt durch politischen Einflüsse der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaften, gaben der Armut mildernde Umstände und implantierten diese als `Normalität´, ähnlich wie Folter, Todesstrafe, Strafe-muss-sein in der Erziehung, die Frau als Mensch zweiter Klasse. Michel Foucault führt aus, dass im 19. Jahrhundert die vier grossen Strategien der Macht manifestiert wurden: Sexualisierung des Kindes durch die Pädagogik, Regulierung des Bevölkerungs-wachstums in den Familien durch die Sozialwissenschaften, Hysterisierung der Frau durch die Medizin und Spezifizierung der „Abweichler“, Perversen durch die Psychiatrie.
Die älteste Strategie der Macht ist wohl die Organisation von Armut.