Gruss an Sascha Lobo

Abschied von der Utopie Die digitale Kränkung des Menschen
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung-13.01.2014
Von Sascha Lobo. Artikel Bilder (1) Lesermeinungen (168). © Caro. Der Medienjournalist Sascha Lobo. Berlin, Deutschland, Sascha Lobo.Abschied von der Utopie
Die digitale Kränkung des Menschen
11.01.2014 · Das Internet ist nicht das, wofür ich es so lange gehalten habe. Ich glaubte, es sei das perfekte Medium der Demokratie und der Selbstbefreiung. Der Spähskandal und der Kontrollwahn der Konzerne haben alles geändert.
Von SASCHA LOBO

Gruss an Sascha Lobo

Moin, Herr Lobo,

was Sie empfinden ist womöglich weniger Kränkung als eher Enttäuschung.
Als u.a. auch irdisch geprägter Mensch könnten Sie sich gekränkt fühlen, wenn Sie sich eigentlich enttäuscht fühlen, eine Selbsttäuschung der man leicht erliegen kann.

„… das perfekte Medium der Demokratie und der Selbstbefreiung.“
Es kann ja nur so unperfekt sein wie die Demokratie es ist.
Und „Selbstbefreiung“ – damit schlägt sich die Menschheit bekanntlich seit tausenden Jahren rum, mindestens seit dem antiken „Erkenne dich selbst“.

Ihre Kränkung oder Enttäuschung könnte nicht der Irrtum wegen der individuellen Wunschvorstellung über die Befreiung des Menschen durch das Internet sein, sondern die `Sünde´, die schier unendlich andauernde nichtvirtuelle Realität des Unrechts und des Bösen in der Welt wegen der neuen Erfindung Internet verschwommener zu sehen.

Snowden hat Kriminalität mittels des Internets aufgedeckt, Kriminalität die aus der nichtvirtuellen Welt stammt und von Teilen dieser Welt mittels des Internets fortgesetzt wird.
Die virtuelle Welt ist so unheilig wie die nichtvirtuelle Welt.
Internet ist nur virtueller Spiegel der nichtvirtuellen Realität.
In diesem Spiegel haben Sie Böses aus der nichtvirtuellen Welt gesehen, und sind enttäuscht, traurig und wütend … oder?

„Denn die Überwachung ist nur Mittel zum Zweck der Kontrolle, der Machtausübung. Die vierte, digitale Kränkung der Menschheit: Was so viele für ein Instrument der Freiheit hielten, wird aufs Effektivste für das exakte Gegenteil benutzt.“
Diese Machtausübung stammt ja aus der nichtvirtuellen Welt.
Die jahrtausende alte Macht- und Unrechtsgesellschaften nutzen die virtuelle Welt für ihre Zwecke, wie sie es mit allen Erfindungen, Entdeckungen, Erkenntnissen gemacht haben.

„… dass mein wunderbares Internet von einem undemokratischen, bigotten Geheimapparat regiert wird. Denn die digitale Vernetzung prägt die Gesellschaft viel stärker, als die meisten Politiker, Journalisten und Fußgänger erkennen wollen oder können. Es gibt in Deutschland nur zwei Arten von Menschen, die, deren Leben das Internet verändert hat, und die, die nicht wissen, dass das Internet ihr Leben verändert hat.“
Und die, deren Leben mit Internet weiterhin von Entfremdung, Abhängigkeiten, Armut, Unrecht, Gewalt, Unterdrückung etc. regiert wird.

„Abgesehen von den Scheinen im Portemonnaie ist Geld bloß eine Zahl auf ein paar Servern, von denen niemand weiß, wo sie stehen, ähnlich verhält es sich mit Patientenakten, Konsum- und Finanzamtsdaten, digitale Ströme regeln die Welt.“
Aber die einen haben genug Geld oder überflüssiges, andere wenig oder zu wenig. Menschen sind es, welche die nichtvirtuelle und die virtuelle Welt regeln.

„Kaum jemand ahnt, wie weit die Digitalisierung und Durchprogrammierung der Welt vorangeschritten ist.“
In allen jeweiligen modernen Gesellschaften seit etwa der Neolithischen Revolution wurden moderne Gesellschaften mit den jeweiligen Mitteln geistiger, psychischer, pädagogischer, körperlicher, kultureller, finanzgesellschaftlicher Methoden durchprogrammiert, verdächtigt, verfolgt, bespitzelt, überwacht, gesteuert etc..

„Auch ohne E-Mail, soziale Netzwerke und Videostreaming ist die gesellschaftliche Abhängigkeit von der digitalen Sphäre total, und diese digitale Sphäre ist unumkehrbar auf dem Weg der radikalen Vernetzung und damit in die Krakenarme der Überwachungsmaschinerie. Auf Hunderte Server verteilt finden sich delikateste Daten über praktisch jede in Deutschland befindliche Person, deshalb betrifft der Spähskandal auch jene, die glauben, der Totalüberwachung zu entgehen, indem sie Facebook nicht benutzen. Wie bei den drei Menschheitskränkungen davor ist fraglich, wann das Gros der Bürger die schiere Größe der Kränkung nachvollziehen können wird. An entscheidenden Stellen aber ist sie bereits sichtbar geworden.“
Diese Kränkungen dürften dann Ohn-Macht, Demütigung, Entwürdigung und gegebenenfalls Vernichtung auch bürgerlicher Existenz sein.
Die Bürger der modern so genannten „Bürgergesellschaft“ sind, wie gesagt, durchreglementiert mit den jeweiligen Mitteln geistiger, psychischer, pädagogischer, körperlicher, kultureller, finanzgesellschaftlicher Methoden, derart, dass Überwachung, spätestens seit Snowden, eigentlich bereits überholt ist, stammt noch aus der Altzeit zwischenmenschlicher, nachbarschaftlicher, beruflicher, militärischer, wirtschaftlicher, politischer Spionage und Vormachts- und Vernichtungskämpfe in allen gesellschaftlichen Bereichen, immer schon normal, – überholt, weil, es wird nicht mehr nur überwacht, sondern ja bereits registriert und gleichsam verifiziert, validiert, implementiert, empiriert, positiviert, ge-Karl-Poppert, reguliert usw.
Nach Max Webers Bürokratietheorien sprachen Adorno und Horkheimer bereits in den neunzehnhundertfünfziger Jahren von der „verwalteten Welt“, der „Allherrschaft des Organisationsprinzips“ – Verwaltungs-Funktionärstum statt „Konkreter Utopie“.
„Die Kränkung, das Bewusstsein, dass man hintergangen wurde und Fehlentscheidungen getroffen hat, wird sich weiter durch die Gesellschaft fressen. Die tiefste Kränkung aber hat eine Gruppe erfahren, der ich angehöre: die Netzgemeinde, die Hobby-Lobby für das freie und offene Internet, vielleicht dreißigtausend Leute in Deutschland. Sie ist nicht zufällig entstanden, eher aus Notwehr, weil über Jahre das Ausmaß des Internetunfugs kaum auszuhalten war, sowohl in der Politik wie auch in vielen traditionellen Medien. Bei aller Diffusität liefert die Netzgemeinde einen nicht unwichtigen Teil des digitalen Diskurses. Weniger über die eigene Reichweite, sehr wohl aber per Agenda-Setting: Die Netzgemeinde kann Themen setzen, über die dann massenmedial berichtet wird.“
Einer der gesellschaftlich bedeutendsten Vernichtungsmassnahmen – „Die Kränkung, das Bewusstsein, dass man hintergangen wurde …“ – vor der Nihilisierung der „Netzgemeinde“, ist die Verelendung grosser Teile der Gesellschaft, in Deutschland u.a. die `Hartz-4-Gemeinde“, – und Flüchtlinge …

„Wir haben uns geirrt“
Schon daraus ergibt sich eine quasiautomatische Frustration, viele Protagonisten der Netzgemeinde müssen mit ansehen, dass nach langjähriger Diskursarbeit ihre Themen in der Öffentlichkeit immer wichtiger werden – ihre Inhalte und Haltungen aber nicht (ähnlich nach dem weltweiten Aufbruch nach den neunzehnhundertsechziger Jahren). Dieses Schema zieht sich bis in die Politik, da arbeiten Abgeordnete aller Parteien jahrelang sachkundig im und zum Netz und dann wird Dobrindt Digitalminister. Dobrindt.“
Ja, Dobrindt … einer der vielen … Die Zivilisationsdecke sinkt dramatisch, zuförderst bei der Bildungselite. Niedertriebige Affekte überborden die Gesellschaft, Hass, Neid, Rivatität, Denunziation, Lüge, Hetze und Destruktion, Gier nach Glanzkarriere, nach Versorgungspöstchen, nach Macht und Übermass von Geld. Zu keiner höheren Erkenntnis fähige Hyliker erdrücken “die Menschen draussen”. Vor fast zweieinhalbtausend Jahren sagte der Philosoph Sokrates zu dem jungen athenischen Politiker Alkibiades: “Du leidest, mein Bester, an der schlimmsten Art des Nichtwissens. … Darum wirfst Du Dich jählings auf die Staatsgeschäfte, noch ohne jede Vorbildung dafür. Du bist aber nicht der Einzige, mit dem es so geht, mit fast allen hiesigen Staatsmännern steht es ebenso, und es gibt nur wenige Ausnahmen. … Darum, mein Teuester, folge mir und dem delphischen Spruche: Erkenne dich selbst”, (Platon, “Alkibiades der Erste”).

„Der Rechtbehaltewunsch ist bei der Netzgemeinde unerbittlicher als irgendwo sonst. Wenn man fast nichts hat außer der eigenen Meinung, wird man diese kompromisslos verteidigen, das eint übrigens Twitterer und Meinungsjournalisten.“
Hm.

„Ein neuer Internetoptimismus muss entwickelt werden“
Das Bild der Politik, das sich die Netzgemeinde zurechtgelegt hatte, entsprach ebenso nicht der Realität. Diese gönnerhafte Freude, das Gefühl der Bestätigung, irgendwie doch zur Avantgarde zu gehören, als Obama anfing zu twittern. Endlich nimmt die Politik unser Internet ernst! Dabei wurden zu diesem Zeitpunkt längst Milliarden für die Überwachung des Internets investiert, viel ernster hätte man es gar nicht nehmen können. In gewisser Weise hat die NSA im Internet wesentlich größere Chancen zur Weltverbesserung gesehen als selbst die Netzgemeinde. Nur dass sie eine ganz andere Auffassung von Weltverbesserung hat.
Den Irrtum eingestehen, den Schmerz der Kränkung aushalten, denn dieser Tiefpunkt kann nicht, darf nicht das Ende sein. Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht. Die Indianer mussten irgendwann begreifen, dass die von den Eroberern geschenkten schönen Textilien verseucht waren mit Krankheitserregern. Das hat das Konzept Kleidung nicht schlechter gemacht“.
Was ist mit den Indianern?

„Es ist nicht so, dass sich mit Snowden der Internetoptimismus läutern müsste in eine digitale Generalskepsis. Die bisherige Form der Netzbegeisterung hat sich aber als defekt erwiesen, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Nach dieser Kränkung muss ein neuer Internetoptimismus entwickelt werden. Eine positive Digitalerzählung, die auch unter erschwerten Bedingungen in feindlicher Umgebung funktioniert, denn der dauernde Bruch sicher geglaubter Grundrechte hält an. Das große Ausspähen ist nicht vorbei. Und wird es vielleicht niemals sein.“
Internet kann nicht die Menschheit befreien und Glück, Zufriedenheit, Würde, Wohlstand bringen, wenn, dann könnte es der Mensch vielleicht, wenn er denn sich und sein Leben ändern und sich emanzipieren würde. Worum z.B. Sie sich gerade bemühen. Konkrete-Utopie geht immer – wenn wir wollen (FAZ 11.1.2014, „Abschied von der Utopie – Die digitale Kränkung des Menschen“, von Sascha Lobo).

Schöne Grüsse
RWWilliam Horst
13.1.2014

Eine Antwort auf Sascha Lobo Das Internet ist nicht kaputt
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung-von Oliver Georgi-20.01.2014
20.01.2014 ·
„Das Internet ist kaputt“, hat Sascha Lobo in der F.A.S. geschrieben, weil die Spähaffäre alles verändert habe. Aber das ist falsch. Weil das Internet ..

?Das Internet ist kaputt?, hat Sascha Lobo in der …
Ad-Hoc-News (Pressemitteilung)-20.01.2014
Internet kaputt! Nicht kaputt!
Medienwoche-21.01.2014

Überwachung: Rührend kindlich
ZEIT ONLINE-17.01.2014 Der Netzvordenker Sascha Lobo ist beleidigt: Sein geliebtes Internet tickt ganz anders, als er dachte. Ein Kommentar von Kilian Trotier.

Die Welt wird zum Flughafen
Spiegel Online-von Sascha Lobo-21.01.2014 Die allgegenwärtige Überwachung führt zu einer so subtilen wie weitreichenden Verhaltensänderung: Immer mehr Menschen versuchen, sich …

Sascha Lobo irrt: Wir brauchen keinen neuen Internet-Optimismus
Tagesspiegel-von Markus Hesselmann-13.01.2014 Der Witz bietet sich an: Sascha Lobo erklärt das Internet für beendet. Nachdem sich der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla mit …

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Auf in den aussichtslosen Kampf
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Antwort auf Sascha Lobo Plötzlich ist Amerika am Apparat
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung-21.01.2014
 · Sascha Lobo ist vom Internet enttäuscht. Ich kann nur sagen: Das ist auch gut so. Man kann mit dem Netz aber schon einiges erreichen: Twittert …

Lernen aus der Zukunft
Spiegel Online-von Sascha Lobo-08.01.2014 Die Snowden-Enthüllungen wären eine perfekte Gelegenheit, um die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen. Aber die Befürworter der Praxis …

Abschied von der Utopie Die digitale Kränkung des Menschen
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung-13.01.2014 Von Sascha Lobo. Artikel Bilder (1) Lesermeinungen (168). © Caro. Der Medienjournalist Sascha Lobo. Berlin, Deutschland, Sascha Lobo.

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Radio Utopie-12.01.2014 Lieber Sascha. Du bist ein kreativer Kopf. Du lebst in der Berliner Republik und denkst oft, gerne und beschämt 80 Jahre zurück, aber schaffst …